Aux mains de l'espace
1993

für
4-Kanal-Tonband


 
 

Les Tours du silence
 
Ils battent les pierres
Ils voudraient avoir une ombre
Ils voudraient avoir un corps
Ils ne sont ni jour ni nuit
Ils sont aux mains de l'espace

Encore une chute de clarté
Et les pierres seront soleil.

                   Paul Éluard


 
 
 
 

Die Türme des Schweigens
 
Sie schlagen die Steine
Sie möchten einen Schatten haben
Sie möchten einen Körper haben
Sie sind nicht Tag noch Nacht
Sie sind in der Hand des Raums

Noch ein Sturz des Lichts
Und die Steine werden Sonne sein
 
  (Übersetzung: B. Böschenstein)


 
 
 

Obwohl das Gedicht als Kommentar nach der Beendigung des Stückes ausgewählt wurde und lediglich assoziativ, keinesfalls programmatisch zu verstehen ist, könnte man den Inhalt des Gedichtes von Paul Éluard auf poetischer Ebene durchaus konzeptionell ansehen. Das vergebliche - der Musik immanente - Bemühen um Existenz/ Körper und Schatten, die Art der Dekonstruktion ("ils battent les pierres " - Kontraktion verschiedener Klangkomplexe auf "Klangpunkte") und der Konstruktion (neue perspektivische Qualität durch Hall und Raumgebung), das Bemühen um eine neue "Sichtweise", die doch gleichzeitig das Aufbäumende/ Vergängliche in sich trägt ("ils ne sont ni jour ni nuit "  -  "et les pierres seront soleil"), bestimmen den formalen Verlauf wie die Klangästhetik des Werkes.

Im folgenden seien einige Aspekte der ästhetischen und formalen Konzeption beschrieben, die einen Einblick in kompositorische Verfahren bei "Aux mains de l'espace" geben.
Die verschiedenen in "Aux mains de l'espace" generierten Prozesse werden nicht in ihren  Verläufen dargestellt; sie tauchen in verschiedenen Zuständen zu verschiedenen Zeitpunkten des Stückes auf und werden in ihre jeweilige zeitliche Umgebung eingebunden. Einige dieser Prozesse bestehen aus rhythmisch irregulären und in Tonhöhen und Intensitäten unterschiedlichen Anordnungen von Klangpunkten, die durch eine extreme Übersteuerung verschiedener Filter erzeugt wurden. Auf diese Art entstehen Klänge, deren Informationsgehalt hinsichtlich der Dauer und der Wahrnehmbarkeit gegenüber ihren Ausgangsklängen verfremdet wurde.

Den generierten Klangpunkten werden durch eine spezielle Verteilung auf die Lautsprecher und dem Verhallen eigenständige, hörbare geometrische Klangbewegungen innerhalb eines akustischen Raumes und damit eine räumlich-perspektivische Qualität gegeben. Dies hat Auswirkungen auf die räumliche/ zeitliche Umgebung der Klangpunkte, so daß neue Zusammenhänge gebildet werden, die durch weitere Parameter (Rhythmik, latente Tonhöhenwahrnehmung, etc.) zusätzlich Bedeutung erhalten.

Ein weiterer Prozeß wird durch das ausschließliche Vorhandensein von Hallanteilen charakterisiert. Dazu wurden die Originalsignale weggeschnitten und diesen "Hallklängen" eigene Hüllkurven gegeben, die sich wiederum verschiedenartig im Raum bewegen.

Einzelzustände verlieren durch die Art des in diesem Werk verwendeten kompositorisch-zeitlichen Gestaltens ihre Zusammenhänge zu vorherigen Zuständen. Makroform und großformale Zusammenhänge entstehen durch übergeordnete Strukturen, die die Verschiedenartigkeiten, z.B. "Eigenschaften" oder klangliche Charakteristika der Einzelelemente absorbieren.

Im Gegensatz zu den oben beschriebenen Konstruktionsverfahren steht die letzte Sequenz, die durch eine 10 Sekunden anhaltende Generalpause von dem übrigen Abschnitten des Werkes getrennt wird. In dieser Sequenz, entstanden durch verschiedene Tieftranspositionen singulärer, d.h. im vorherigen nur rudimentär verwandten Klangmaterialien, wird ein dem oben erläuterten Verfahren entgegengesetztes generiert, welches sich dem Hörer durch die Andersartigkeit seiner Klanglichkeit umittelbar mitteilt.

Das Stück "Aux mains de l'espace" wurde 1992/1993 mit dem Synlab-Analog-Synthesizer am elektronischen Studio der Folkwang-Hochschule Essen, dem ICEM, komponiert. Integraler Bestandteil des Kompositionsprozesses lag in der Auseinandersetzung zwischen der von mir beabsichtigten formalen und ästhetischen Konzeption und den klanglichen Resultaten des Synlabs, die sich aufgrund seiner Bauweise (z.B. thermische Instabilität) ergaben.